Nachdem Forschungen über Achtsamkeit und Meditation in Wissenschaft, Medizin, Alltag und Therapie seit langem im Trend sind, kann in den letzten 10 Jahren auch ein rasanter Anstieg von Forschungen über das Thema Mitgefühl und Selbstmitgefühl (Mitgefühl für sich selbst) beobachtet werden. Dies ist auch kein Wunder - schließlich gehören Achtsamkeit und Mitgefühl zusammen wie zwei Seiten einer Medaille.
Von Interesse ist vor allem, inwieweit Selbstmitgefühl
Die fürsorgliche Freundlichkeit zu sich selbst (Selbstmitgefühl) und zu anderen Menschen (Mitgefühl) angesichts schwieriger Erfahrungen wird als ein Puzzleteil im Rahmen der Positiven Psychologie, der psychischen Widerstandskraft (Resilienz) und zur besseren Stressbewältigung und Vorbeugung von Stress und Burnout erforscht.
Forschungen konnten zeigen, dass Selbstmitgefühl positiv korreliert mit:
Die US-amerikanische Wissenschaftlerin, Dr. Kristin Neff, gehört zu den Pionieren der Selbstmitgefühlsforschung. Zur wissenschaftlichen Erfassung von Selbstmitgefühl entwickelte sie die Self-Compassion-Scale (Selbstmitgefühlsskala) mit den drei von ihr definierten Kernbereichen von Selbstmitgefühl:
Diese von Kristin Neff entwickelte Selbstmitgefühlsskala wird mittlerweile in den meisten wissenschaftlichen Untersuchungen sowie in klinischen und therapeutischen Kontexten angewendet. Ihre Aussagekraft und Gültigkeit wurde vielfach empirisch bestätigt. Für die deutsche Version dieser Skala haben Jörg Hupfeld und Nicole Ruffieux, Universität Bern, eine Validierung vorgenommen, also den Nachweis, dass mit dieser Skala zuverlässig ermittelt werden kann, inwieweit Menschen Selbstmitgefühl als innere Qualität aufweisen (s. Referenzen).
Die Wissenschaftler zeigen weiter auf, dass Selbstmitgefühl ein wirksamer Schutzfaktor im Umgang mit negativen Ereignissen ist. Durch Trainings zum Selbstmitgefühl erfolgen demnach positive kognitive Umstrukturierung, die zu folgenden Effekten bei den TeilnehmerInnen führten:
Wenn Sie wissen möchten, wie hoch Ihr eigenes Level an Selbstmitgefühl ausgeprägt ist, können Sie auf der Seite von Kristin Neff einen Selbst-Test durchführen (englischsprachig). Auf der Website von Kristin Neff finden Sie auch einen sehr großen Überblick über englischsprachige Forschung zum Selbstmitgefühl. (s. Referenzen)
Die beiden Wissenschaftler*innen Prof. Dr. Tania Singer und Dipl.-Psych. Matthias Bolz haben in dem kostenlosen E-Book "Mitgefühl in Alltag und Forschung" (s. Referenzen) einen sehr umfangreichen und unglaublich wertvollen Schatz an Erkenntnissen über Mitgefühl gesammelt, sowie bestehende säkulare Trainingsprogramme, den aktuellen Stand der Wissenschaft sowie Erfahrungsberichte aus der Praxis in einem einzigen Buch zusammen geführt.
Gemeinsam mit dem Künstler Olafur Eliasson hat Tania Singer auch einen schönen Film über Mitgefühl gedreht: Raising Compassion. Neurowissenschaftler, Psychologen und buddhistische Mönche kommen in diesem Film zum Gespräch und tauschen sich über ihre Vorstellungen und Erfahrungen mit Mitgefühl in ganz verschiedenen Lebensbereichen aus. Der Film ist nur englischsprachig anzuschauen.
Das ReSource-Projekt ist eine große und weltweit einzigartige Studie zur Erforschung des Zusammenhangs zwischen mentalem Training und seinen Auswirkungen auf die psychische, mentale Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden, sowie soziale Kompetenzen.
Es wurde initiiert von Prof. Dr. Tania Singer, Direktorin der Abteilung Soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und wird gefördert mit Mitteln des Europäischen Forschungsrats sowie der Max-Planck-Gesellschaft. Eingerahmt war es in den Forschungsschwerpunkt Plastizität (Veränderbarkeit) des sozialen Gehirns, in dem die Lern- und Entwicklungsfähigkeit unseres sozialen Gehirns untersucht wird.
Insgesamt 11 Monate lang wurden interessierte Laien mit einem breiten Spektrum an westlichen und östlichen Methoden der Geistesschulung systematisch vertraut gemacht. Dabei ging es in den drei Modulen "Präsenz", "Perspektivübernahme" und Affekt" um die Entwicklung von Fähigkeiten wie
Im Modul "Präsenz" wurde die grundlegende Methode und Haltung der Achtsamkeit gegenüber geistigen und körperlichen Prozessen eingeübt, z.B. durch Atemmeditation und Bodyscan. Das Modul "Perspektivübernahme" zielte auf die Entwicklung von sozio-kognitiven Fähigkeiten wie die Einsicht in die Natur von Gedanken, des Selbst sowie die Fähigkeit, die Perspektive anderer Menschen einnehmen und erkennen zu können. Hier wurde in Meditationsübungen die Achtsamkeit auf eigene Gedanken, sowie in Meditationsübungen zu zweit das achtsame Sprechen und Zuhören trainiert (Dyaden-Meditation). Im Modul "Affekt" wurden die Teilnehmer an Methoden eines konstruktiven Umgang mit schwierigen Emotionen herangeführt sowie der Kultivierung positiver Emotionen und Motivationen. Im letzten Modul kamen Übungen zum Einsatz, die auf klassische Meditationen zur Kultivierung von Selbstmitgefühl, Mitgefühl und Liebender Güte (Metta) basieren: Herzmeditation und affektive Dyaden-Meditationen zu zweit über positiv und negativ erlebte Erfahrungen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass alle drei Übungsmodule die Körperwahrnehmung steigerten und das subjektive Empfinden von sozialem Stress senkten. Wurden die hormonellen Stressreaktionen, die ganz autonom im Körper ablaufen, untersucht, so zeigte sich interessanterweise, dass sich diese nur durch die Module "Perspektivübernahme" und "Affekt", vor allem durch die Meditationsübungen zu zweit (Dyaden-Meditation) verringerten. Wie erhofft, wurde durch das Modul Perspektivübernahme die Fähigkeit verbessert, sich in andere hineinzudenken, sowie durch das Modul "Affekt", mit anderen mitzufühlen.
Projekt „Mitgefühl in Alltag und Forschung“: www.compassion-training.org.
Direkt zum Download des kostenlosen E-Book "Mitgefühl in Alltag und Forschung"
Die folgenden Nachweise beziehen sich auf die o.g. Wirkungen von Selbstmitgefühl. Sie finden die meisten dieser Referenzen u.v.m. auch auf der umfangreichen Publikationsliste von Kristin Neff, die zu den Pionieren der Selbstmitgefühlsforschung zählt, und die zusammen mit Chris Germer das 8-wöchige Trainingsprogramm Mindful Self-Compassion (MSC) entwickelt hat.