Die Medizin interessierte sich lange nur für die Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Mittlerweile gibt es jedoch ein wachsendes Interesse an der Frage, was genau Gesundheit befördert -
vor allem auch die psychische Gesundheit. Welche Schutzfaktoren gibt es, die vor den Folgen von Belastungen und Krisen schützen? Denn Menschen werden ihrem Leben immer wieder
Krisen, und Belastungen erleben - aber sie gehen sehr unterschiedlich damit um bzw. können sich unterschiedlich gut oder schlecht von Krisen wieder erholen.
In Medizin und Psychologie haben sich verschiedene Konzepte und Richtungen entwickelt, die versuchen Antworten auf diese Fragen zu geben:
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Salutogenese
*Salutogenese = Entstehung von Gesundheit
Als Schlüssel für die Entstehung wird die "Kohärenz" betrachtet: das Gefühl der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens. Begründer ist der
israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonowsky (1923-1994)
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Resilienz
*Resilienz = psychische Widerstandskraft bzw. Stärke
Laut dem Resilienzmodell entsteht psychische Widerstandskraft in einem Wechselspiel von individuellen und sozialen Schutzfaktoren. So hat die Resilienzforschung u.a. die Bedeutung von
vertrauensvollen Beziehungen für die Entwicklung psychischer Widerstandskraft heraus gestellt.
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Positive Psychologie
Die positive Psychologie nimmt die positiven Ressourcen menschlicher Existenz in den Blick, z.B. Glück, Liebe, Vertrauen, Optimismus, Solidarität, Vergeben, Dankbarkeit, Gerechtigkeit,
Spiritualität und dessen Bedeutung für eine gesunde Entwicklung. Sie zeigt auch auf, wie man diese kultivieren kann. Ein bekannter Vertreter ist der US-amerikanische Psychologe Martin
Seligman (*1942), der Autor von zahlreichen Büchern ist, z.B. über Glück.
Forschungen aus diesen Wissenschaftszweigen haben heraus gefunden, welche Schutzfaktoren den Menschen stressstabil und resilient (widerstandsfähig) machen und helfen, die psychische
Gesundheit zu erhalten, auch z.B. nach Schicksalsschlägen. Die Grundlage für diese Schutzfaktoren werden schon im Kindesalter gelegt. Aber auch Erwachsene können sie noch erlernen und
systematisch stärken. Menschen, die ein hohes Maß an Resilienz aufweisen, haben nicht weniger Ängste, Zweifel, Herausforderungen im Leben oder Krisen. Sie gehen nur anders damit um, erholen
sich schneller wieder davon und haben eine positive Sicht auf die Welt. Zu den psychischen und sozialen Schutzfaktoren gehören:
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Optimismus: Eine positive Einstellung zum Leben und eine positive Ergebniserwartung helfen, mit Belastungen besser umzugehen. Sogar der Verlauf von Krankheiten wird durch
eine optimistische Grundhaltung zum Leben positiv beeinflusst.
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Vertrauen: Vertrauen in andere Menschen und in eigene Fähigkeiten, die Zuversicht Herausforderungen im Leben selbst oder mit Hilfe anderer bewältigen zu können. Ein
Grundvertrauen in das Leben hilft, sich die Welt auch in schwierigen Situationen erklären zu können.
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Lebenssinn: Ziele und Werte, für die es sich lohnt zu leben und sich zu engagieren, verleihen dem Leben eine Orientierung und schützen die Gesundheit.
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Selbstwirksamkeit: das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, nicht den Umständen ausgeliefert oder fremdbestimmt zu sein, das entspannte Gefühl, ganz grundsätzlich
die Kontrolle über sich und sein Leben zu haben.
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Selbstwertgefühl: sich selbst als wertvoll und wichtig erleben.
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Selbstmitgefühl: eine freundliche Grundhaltung sich selbst gegenüber, gerade auch dann, wenn etwas misslingt oder schwierig ist.
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Verbundenheit & Mitgefühl: das Gefühl, nicht alleine auf der Welt zu sein, sich mit anderen Menschen verbunden zu fühlen, vertrauensvolle sichere Beziehungen zu haben,
eine wohlwollende Haltung gegenüber anderen Menschen
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Beziehungen pflegen: sich Zeit nehmen für Freunde und Familie. Erfüllende Beziehungen und ein soziales Netzwerk spielen eine große Rolle für die Gesundheit. Wir sind
soziale Wesen und brauchen den Kontakt mit anderen Menschen.
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Humor: Lachen entspannt, baut Stress und Spannungen ab und stärkt das Immunsystem. Humor ermöglicht die Dinge aus einer heiteren Distanz heraus zu betrachten und erzeugt
positive Emotionen.
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Genießen: genussvolles Erleben steigert die Lebensqualität und Lebensfreude, die Fähigkeit genießen zu können ist ein gutes Gegenmittel gegen übersteigertes
Pflichtbewusstsein und Leistungsstreben.
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Dankbarkeit: den Blick auf die Dinge lenken, über die man sich freuen kann, die nicht selbstverständlich sind, wie z.B. eine nette Begegnung, die Sonne, die scheint, ein Dach
über dem Kopf zu haben usw. Dankbarkeit hilft, aus negativen Gedankenketten auszubrechen, sie wendet sich dem Positiven zu und gibt ihm Bedeutung und Wertschätzung. Das Leben ist nie nur
schwarz oder nur weiß. Ein Dankbarkeitstagebuch oder fünf Minuten am Abend, wo Sie sich vergegenwärtigen, wofür Sie heute dankbar sein können, verstärkt den gesundheitsförderlichen, positiven
Effekt.
Diese positiven Qualitäten dienen nicht nur der Prävention von Stress, sie können auch im Rahmen der Stressbewältigung wertvolle Übungsbestandteile sein.
Vor allem Selbstmitgefühlskurse, aber auch Achtsamkeits- bzw. MBSR-Kurse enthalten - direkt oder indirekt - viele dieser positiven Qualitäten. In den auf Achtsamkeit und Selbstmitgefühl basierenden Kursen ergänzen sich
alte buddhistische Wurzeln und Weisheiten über die Kultivierung positiver Geisteshaltungen (Achtsamkeit & Metta = Liebende Güte, Wohlwollen) mit neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften und der positiven Psychologie. Aus diesem Grund interessieren sich Mediziner, Psychologen, Therapeuten und Pädagogen zunehmend für die
Wirkung dieser alten fernöstlichen Weisheitstraditionen und versuchen, deren Kernelemente für Menschen in unserer modernen Welt nutzbar zu machen und in
Behandlungskonzepte (z.B. zur Heilung von Depression) einfließen zu lassen.